Das SARS-CoV-2-Virus hält derzeit die ganze Welt in Atem. Die Folgen für die physische und materielle Existenz von Menschen sind gleichermaßen bedrohlich. Das heimtückische an dem Virus besteht darin, dass es gewissermaßen mit einer Doppelstrategie vorgeht. Zum einen löst es bei einem Teil der Infizierten lebensbedrohliche Lungenkomplikationen aus. Zum anderen lässt es einen anderen Teil von Infizierten symptomfrei davonkommen, die somit über einen längeren Zeitraum unerkannt für die Verbreitung des Virus sorgen. Es ist, als ob zwei Viren gleichzeitig aktiv wären: Eines, das offen mit seiner Waffe kämpft, und eines, das mittels einer Tarnkappe für die Vermehrung von Kämpfern sorgt.
Legt man die bekannten Zahlen aus Deutschland zugrunde, ist derzeit davon auszugehen, dass im Vergleich zu früheren Grippewellen ein deutlich überdurchschnittlicher Teil der entdeckten Infizierten an der Krankheit stirbt. Die Entdeckung erfolgt typischerweise nach etwa sieben Tagen, wenn erste Symptome auftreten und ein Nachweis des Virenbefalls möglich ist. Im Durchschnitt dauert es dann weitere sieben Tage, bis das Testergebnis vorliegt. Das liegt zum einen daran, dass die Betroffenen meist nicht sofort beim ersten Auftreten von Symptomen einen Arzt aufsuchen, und zum anderen daran, dass es bis zu drei Tage dauern kann, bis das Testergebnis vorliegt.
Die tagesaktuell vom Robert-Koch-Institut berichteten Zahlen über Neuinfektionen spiegeln daher faktisch das zum Berichtszeitpunkt bereits vierzehn Tage zurückliegende Infektionsgeschehen wider. Setzt man die aktuell berichtete Zahl der Todesfälle in Relation zur Zahl der vierzehn Tage zurück liegenden, entdeckten Infektionsfälle, ergibt sich eine beunruhigend konstante Relation von etwa zehn Prozent.
Sobald ein Fall entdeckt ist, können entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, also entweder eine häusliche Quarantäne bei leichtem Symptomverlauf oder die Hospitalisierung bei schwerem Symptomverlauf. Ab diesem Zeitpunkt ist die von den Betroffenen ausgehende Infektionsgefahr vergleichsweise gering.
Das Virus wirkt sich umso gefährlicher aus, je größer der Anteil der unentdeckten symptomfreien Infektionen ist.
Anders sieht es hingegen bei symptomfreien Verläufen aus. Die Infektion bleibt meist unentdeckt. Experten gehen davon aus, dass auf einen entdeckten Infizierten bis zu neun unentdeckte, weil symptomfreie Infizierte kommen. Genaueres weiß man bislang aber nicht. Diese Gruppe von Infizierten kann sich zwar einerseits glücklich schätzen, weil sie durch die Infektion einen zumindest vorübergehenden Immunschutz erwirbt, andererseits stellt sie für die übrige Bevölkerung eine besondere Bedrohung dar, weil sie über einen vergleichsweise langen Zeitraum unerkannt infektiös ist.
Paradoxerweise wirkt sich das Virus umso gefährlicher aus, je größer der Anteil der unentdeckten symptomfreien Infektionen ist. Wären nahezu 100 Prozent der Infektionen symptomhaft und würden deshalb entdeckt, ließe sich die Pandemie mit vergleichsweise geringen Opferzahlen bewältigen. Der Zeitraum, über den die Pandemie wirksam ist, wäre dann zwar relativ lang, aber es bestünde berechtigte Hoffnung, dass früher oder später ein wirksames Medikament zur Bekämpfung gefunden wird.
Ist der Anteil der unentdeckten symptomfreien Infektionen dagegen hoch, kämpft man gegen eine ständig höher werdende Welle an. Der Höhepunkt der Pandemie wird dann zwar schnell erreicht, aber um den Preis einer hohen Zahl an menschlichen Opfern. Die Entwicklung wirksamer Medikamente käme vorhersehbar zu spät.
Die Unsicherheit darüber, wie sich die Pandemie entwickeln wird, hängt ganz maßgeblich damit zusammen, dass über den Anteil symptomfreier Infektionen nichts Genaues bekannt ist. Die Bevölkerung verlangt zu Recht nach realistischer Aufklärung über das, was ihr noch bevorsteht. Mit düsteren Metaphern ist es hier nicht getan. Die Aufklärung muss nachvollziehbar sein, ansonsten droht dem Staat die Kontrolle über das Geschehen zu entgleiten.
Eine Alternative besteht darin, Zufallsstichproben der Bevölkerung auf eine Infektion zu testen.
Die aktuellen Zahlen zu den Neuinfektionen weisen leider darauf hin, dass es mit den bisher ergriffenen Maßnahmen nicht gelingt, das Infektionsrisiko hinreichend zu senken. Sie sind vielmehr ein Hinweis darauf, dass das Tarnkappenproblem ernst zu nehmen ist. Es wäre deshalb dringend erforderlich, eine verlässliche Abschätzung über den Anteil symptomfreier Infektionen zu erhalten. Tests zum Nachweis von Antikörpern im Blut wären dazu ideal geeignet, sind aber bislang noch nicht hinreichend verlässlich entwickelt. Eine vergleichsweise einfache Alternative besteht darin, Zufallsstichproben der Bevölkerung auf eine Infektion zu testen. Dieser Ansatz wurde bereits Mitte Märzvom Institut für Weltwirtschaft vorgeschlagen, hat aber bis heute keinen Niederschlag in der Praxis gefunden.
Sollte sich bewahrheiten, dass wir es mit einem substanziellen Anteil von getarnten Infektionen zu tun haben, führt an flächendeckenden Infektionstests kaum noch ein Weg vorbei. Nur so ließe sich dann die todbringende Wirkung der unentdeckten Infektionen noch rechtzeitig brechen. Das mag an Kapazitätsgrenzen stoßen, aber man sollte den menschlichen Erfindungsreichtum nicht unterschätzen. AmUniversitätsklinikum Frankfurt wurde soeben ein massentaugliches Testverfahren vorgestellt集群,麻省理工学院民主党西奇ganze冯Probanden simultan testen lassen. Nur wenn ein oder mehrere Mitglieder des Clusters positiv sind, müssen Einzeltests zu Identifizierung der Betroffenen durchgeführt werden. Ist dagegen kein Mitglied des Clusters betroffen, kann die Infektion für jedes einzelne Mitglied des Clusters ausgeschlossen werden.
In einigen südostasiatischen Ländern hat sich auch der Vorstoß bewährt, die Infektionsausbreitung mittels Handy-Ortungen unter Kontrolle zu bringen. Ob eine App, deren Nutzung auf Freiwilligkeit beruht, dafür der richtige Ansatz ist, darf jedoch bezweifelt werden. Warum sollten sich Nutzer freiwillig dem Risiko aussetzen, eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen die geltenden Ausgangsbestimmungen überführt werden zu können, sollte sich ein solcher Verstoß im Nachhinein als Ursache für eine Infizierung heraus stellen?
Debatten um das drohende Ende der Demokratie offenbaren fehlendes Verständnis für den Ernst der Lage.
Fest steht: Das Virus hat uns alle derzeit im Griff und diktiert das Geschehen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Politik bleibt akut keine Alternative zu ihrem Kurs der Einschränkung von physischen Sozialkontakten. Die Folgen werden je nach weiterem Verlauf ökonomisch brisant sein, sie können aber auch unser soziales Gemeinwesen schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Wer allerdings jetzt gedrechselte Debatten über das drohende Ende der Demokratie aufgrund von „Zumutungen“ und Einschränkungen der persönlichen Freiheit führt, zeigt nur ein geringes Verständnis für den Ernst der Lage und ein unterentwickeltes Vertrauen in den Demokratiewillen der Bevölkerung. Es ist doch wohl eher umgekehrt: Wenn jetzt nicht konsequent zum Schutz der Bevölkerung gehandelt wird, werden die Folgen für die Demokratie vielleicht viel verheerender sein als sich mancher das heute vorstellen mag.